Ein Komponist von mittlerm Rang,
dem manches Stücklein schon gelang,
stellt recht betroffen bei sich fest,
dass sich nichts Neues machen lässt.

Die Mittel sind zu abgegriffen.
Was heut der jüngste Star gepfiffen,
ist morgen schon ´ne alte Tour,
lockt niemand hinterm Ofen vor.
Soll er Mixtur- und Quartenklänge
verwenden noch in jeder Menge?
Soll er mit Quintenparallelen
noch weiterhin die Hörer quälen?
Soll hinter Spaltklang-Dissonanzen
er seine Seelennot verschanzen?
Von Sinfonien und Sonaten
ist ohnehin gleich abzuraten.
Der Kanon hat schon einen Bart,
ist selbst als „Krebs“ nicht mehr apart.
Und auch die Ostinato-Mode
erschöpft sich schließlich bis zum Tode.
„Was tun?“ so sprach er, wie einst Zeus.
„Wie mache ich bloß mal was Neu’s?“

Da las er jüngst bei Morgenstern
die Sache von dem alten Herrn,
der als ein Gegenstück zur Weste
die „Oste“ schuf aufs allerbeste
als hochmodernes Kleidungsstück.
Genau in diesem Augenblick
verspürte unser Musikus
mit Nachdruck seiner Muse Kuss.
„Ob man da nicht…“, so sprach er leise,
pfiff vor sich hin die neue Weise,
warf kühn zurück die Künstlermähne,
griff auf dem Flügel ein paar Töne
und schrieb in völlig neuem Stil
hin aufs Papier der Noten viel. –
Der Wurf gelang, und bald darauf
führt man das neue Werk schon auf.
So ward vor den erstaunten Ohren
der „Westinato-Stil“ geboren.

Johannes Petzold
Quelle: Kunterbunter Kontrapunkt. Kirchen- und anderes Musikalisches
Herausgegeben von Erika Schreiber. Illustriert von Horst Räcke
Evangelische Verlagsanstalt Berlin 1972, S. 88/89