Das Grab in Eisenach 

Fehlerhafte Inschrift?
Gedanken zum Grabstein unserer Eltern

von Dietrich Petzold

Einigen Besuchern der Grabstätte von Johannes und nunmehr auch Hiltrud Petzold auf dem Eisenacher Friedhof ist es bereits aufgefallen: Das in den Stein gravierte Zitat aus unseres Vaters wohl bekanntestem Lied „Die Nacht ist vorgedrungen“ ist nicht korrekt.

Richtig wiedergegeben sind die Textzeilen „Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt!“ (erste und zweite Zeile der letzten Strophe von Jochen Kleppers großartigem Gedicht). Die darüber liegenden Zeilen der Melodie jedoch sind nicht die der ersten und zweiten, sondern die der ersten und letzten Zeile der Strophe.

Dies ist nicht einfach ein Irrtum. Nach dem Tod ihres Mannes entschied unsere Mutter über die Gestaltung des Grabsteines, der später auch der ihre werden sollte. Sie hat die Zuordnung der Melodiezeilen bewusst so gewählt, wie sie nun zu sehen sind.  Warum sie dies getan hat, gibt Anlass zu Mutmaßungen.

Die naheliegende Motivation für diesen Eingriff liegt wohl in einem Bedürfnis nach Schluss-Gültigkeit der Aussage, auch im Musikalischen. (Diese Schlusswirkung tritt allerdings trotzdem nicht gänzlich ein, da  die letzte Zeile von Johannes Petzolds Vertonung auch nicht auf dem Grundton endet, somit  „offen“ bleibt. )

Eine tiefer verborgene Motivationsebene dürfte in Hiltruds Lebenstragik liegen: Ihr Streben nach eigenem künstlerischen Schaffen hatte immer zurückzustehen hinter den Aufgaben der Lebensbewältigung für die Familie. Schwere, von der Krankheit ihres Mannes und dem Tod zweier Kinder überschattete Zeiten forderten ihren ganzen Einsatz, ließen nur selten Zeit und Kraft übrig für ihr Bemühen um künstlerischen Ausdruck.

So mag sie – zumindest teilweise unbewusst – bei dem doch relevanten Eingriff in die Melodie einen inneren Anspruch auf Beteiligt-Sein am Werk ihres Mannes umgesetzt haben.

Dass Johannes Petzold, der – wie auch aus etlichen Dokumenten hervorgeht – sehr lange und akribisch an jedem Detail der Melodieführung gearbeitet hat, diese Variante akzeptiert hätte, ist eher unwahrscheinlich. Schon die nicht wirklich einleuchtende Tonwiederholung in der Mitte, die durch die Zusammenstellung der ersten und letzten Zeile entsteht, entspräche sicher nicht seiner Intention. Die korrekte Unterlegung der beiden Textzeilen mit der ersten und zweiten Zeile seiner Melodie hätte  ihm zweifellos mehr zugesagt, da dies beim kundigen Betrachter ein inneres Weiterhören angeregt hätte.

Nach unserer Mutter Tod haben wir drei Söhne darüber nachgedacht, die Aufschrift des Grabsteins zu korrigieren. Wir haben uns jedoch nach reiflicher Überlegung entschlossen, ihn zu belassen, wie er nun ist. Mag er für manche Betrachter ein Fragezeichen hinterlassen; hier wurde versucht, mögliche Antworten anzudeuten. Das Fragen und Weitersuchen hat unseres Vaters Verhältnis zum Glauben zeitlebens bestimmt; ähnlich stellt es sich bei Jochen Klepper dar (beispielsweise in seinen Aufzeichnungen „Unter dem Schatten Deiner Flügel“).

Es sei dem Betrachter des Grabsteins anheimgestellt, die ursprüngliche Melodie aus seinem eigenen Erinnern wiederherzustellen oder sie nach eigenem Ermessen zu ergänzen. Menschliches ist nicht end-gültig.

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